Konsignationslagerregelung „Quick Fix“ — Quo vadis?

Das BMF Schreiben vom 10.12.2021 gibt Anlass, einige seither aufgetauchte relevante Praxisfragen im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen im Rahmen einer Konsignationslagerregelung zu beleuchten: Wie ist mit Altfällen umzugehen? Dürfen die Parteien Lieferklauseln (Inconterms) vereinbaren, die (wie etwa die Klausel „Ex Works“) dem Wesen der Konsignationslagerregelung unter Umständen widersprechen? Wie ist mit Fällen umzugehen, bei denen Ware abhandenkommt? Wie sind Fälle zu behandeln, in denen der Kunde innerhalb der 12-Monatsfrist wechselt? Was passiert, wenn der Erwerber die Ware in ein anderes Mitgliedsland verbringt? Wie ist mit Reihengeschäften umzugehen?

  1. Einführung

Bereits am 2.10.2018 beschloss der Europäische Rat vier Änderungen Vorschriften zur Mehrwertsteuerrechtlichen Behandlung von Erwerbsvorgängen innerhalb der EU. Dabei handelt es sich um Sofortmaßnahmen (sog. Quick Fixes) Lieferungen zwischen den Mitgliedstaaten:

  1. Konsignationslager (Art. 17a MwStSystRL);
  2. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL; → Umsatzsteuer-Identifikationsnummer);
  3. → Reihengeschäft (Art. 36a MwStSystRL);
  4. Belegnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (Art. 45a MwStSystRL; → Innergemeinschaftliche Lieferung).

In Deutschland wurden die Vorgaben durch den neuen § 6b UstG umgesetzt. Die Neuregelungen sowohl des Art. 17a MwStSystRL als auch des § 6b UStG bestimmen, unter welchen Voraussetzungen von der Konsignationslagerregelung auszugehen ist.

Das BMF hat mit Schreiben vom 10.12.2021 (BStBl I 2021, 2492) ein Einführungsschreiben zur Konsignationslagerregelung nach § 6b UStG erlassen und zu einigen praxisrelevanten Fragen Klarstellungen vorgenommen.

Dennoch verbleiben Unsicherheiten, die nachfolgend beleuchtet werden.

  1. Begriffe: Konsignationslager und Call-off-Stock

Spielt es eine Rolle, von wem (Versender / Empfänger) das Lager unterhalten wird? Nein, denn:

Der Begriff des Konsignationslagers ist gesetzlich nicht definiert. Unter einem Konsignationslager versteht man die Einrichtung eines Lagers in der Nähe der Kunden, um diese jederzeit bei Bedarf („lean on“) auf Abruf beliefern zu können. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Lager vom Verkäufer oder vom Erwerber selbst betrieben wird, es kann aber auch von einem Spediteur oder von einem externen Dienstleister unterhalten werden. Es können zugleich mehrere Abnehmer Zugriff auf das Konsignationslager haben. Hat nur ein Abnehmer Zugriff auf die Ware, spricht man hingegen von einem »Call-off-stock« als Spezialform des Konsignationslagers.

  1. Zivilrechtliche Eigentumsübertragung und Inconterms:

 Widerspricht die Vereinbarung „Ex-Works“ (INCONTERM) der Regelung eines Konsignationslagers?

  • Grundsätzlich nicht, es kommt auf die Ausgestaltung an!

Bei einem Konsignationslager bleibt der Lieferer (Konsignant) zivilrechtlicher Eigentümer der im Lager befindlichen Ware. Erst wenn der Abnehmer (Konsignatar) die Ware entnimmt, geht das Eigentum an dieser vom Konsignanten (Lieferer) auf den Konsignatar (Abnehmer) über.

Bei der Vereinbarung von Liefer- und Speditionsbedingungen (INCONTERMS) ist deshalb dem Umstand des maßgeblichen Zeitpunkts des Eigentumsüberganges nach dem Willen der Parteien besondere Aufmerksamkeit zu widmen: Soll die Ware etwa vom Abnehmer abgeholt werden (selbst oder durch eine Spedition, sog. „Ex Works“) mit der Folge eines Gefahrenüberganges im Zeitpunkt der Übernahme der Ware am Werk des Versenders, so muss zugleich klargestellt werden, dass damit keine Übereignung der Ware bei Abholung verbunden ist und die Lieferung im Auftrag und Interesse des Versenders erfolgt. Andernfalls verliert der Verkäufer seine Verfügungsgewalt über die Ware mit der Folge, dass die Voraussetzungen einer Konsignationslagerregelung nicht mehr gegeben sind und ein steuerbarer innergemeinschaftlicher Erwerb vorliegt.

 

  1. Die Regelung nach der Konsignationslagerregelung des § 6b UStG

 

a. Lager i.S.d. § 6b UStG sind Warenlager,

  • in welche der liefernde Unternehmer oder ein von ihm beauftragter Dritter
  • Gegenstände aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates (Abgangsmitgliedstaat)
  • in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates (Bestimmungsmitgliedstaat)
  • in einen zum Verbleib gedachten Bestand und zur Entnahme nach eigenem Ermessen
  • durch einen dem liefernden Unternehmer bekannten Erwerber
  • befördert oder versendet (Abschn. 6b.1 Abs. 1 Satz 2 UStAE).

b. Verbleiben im Bestimmungsmitgliedstaat bis zur Entnahme

Die Konsignationslagerregelung setzt ein Verbleiben des Liefergegenstandes im Bestimmungsmitgliedstaat vom Zeitpunkt der Einlagerung bis zur Entnahme durch den Erwerber voraus. Eine der Entnahme des Liefergegenstandes aus dem Lager i.S.d. § 6b UStG nachfolgende Lieferung des Erwerbers über die Grenzen des Bestimmungsmitgliedstaates hinaus, ist unschädlich. Die Beförderung oder Versendung in ein anderes im Bestimmungsmitgliedstaat gelegenes Lager i.S.d. § 6b UStG vor Entnahme aus dem ursprünglichen Lager durch den Erwerber führt ebenfalls nicht zum Ausschluss dieser Regelung.

Achtung: Die Beförderung oder Versendung in ein Lager i.S.d. § 6b UStG in einem anderen als dem vereinbarten Mitgliedstaat setzt eine Rücklieferung (§ 6b Abs. 4 UStG) voraus.

Erfolgt der Verzicht auf die Rücklieferung und werden die Gegenstände unmittelbar in einen weiteren Mitgliedstaat oder ins Drittland befördert oder versendet, tritt die Rechtsfolge nach § 6b Abs. 6 UStG ein (Abschn. 6b.1 Abs. 13 UStAE): Das bedeutet, dass ein Verbringen im Sinne einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegt (§ 6a Absatz 2 in Verbindung mit § 3 Absatz 1a)

c. Bekannter Erwerber: können auch Vereinbarungen mit mehreren Erwerbern geschlossen werden?

Nach den vertraglichen Vereinbarungen müssen zu Beginn der Beförderung oder Versendung die Angaben des Erwerbers bekannt sein:

Es können auch Vereinbarungen mit mehreren Erwerbern geschlossen werden. Sind entsprechende Vereinbarungen mit mehreren Erwerbern geschlossen, muss für jeden Erwerber entsprechend des § 22 Abs. 4f und 4g UStG sichergestellt sein, dass die Gegenstände dem jeweiligen Erwerber eindeutig und klar zugeordnet werden können

Ausnahme: Der Erwerber wechselt in der Zeit zwischen Beförderung oder Versendung des Gegenstandes und vor Lieferung / Entnahme

Nach § 6b Abs. 5 UStG bleibt ein Wechsel des Erwerbers innerhalb der 12 Monats-Periode unschädlich, wenn:

  • Der andere Unternehmer gegenüber dem Unternehmer die ihm vom Bestimmungs-mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet hat. Und
  • Der vollständige Name und die vollständige Anschrift des anderen Unternehmers dem Unternehmer bekannt sind. Und
  • Der Unternehmer zeichnet den Erwerberwechsel nach Maßgabe des § 22 Absatz 4f gesondert auf.

 

d. Vertragliche Vereinbarung: Verschaffung der Verfügungsmacht

Die vertragliche Vereinbarung mit dem (späteren) Erwerber muss die Verschaffung der Verfügungsmacht zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Beendigung der Beförderung oder Versendung vorsehen („Lieferung des Gegenstandes nach dem Ende der Beförderung oder Versendung“). Ausreichend aber auch erforderlich ist eine (Rahmen-)Vereinbarung, die die Voraussetzungen, unter denen der Erwerber zur Entnahme der Waren berechtigt, aber nicht verpflichtet, ist, regelt.

e. Ausnahme: Reihengeschäft

Die Vereinfachungsregelung nach § 6b UStG kommt beim Reihengeschäft im Sinne des § 3 Abs. 6a UStG nicht in Betracht, da hier regelmäßig dem Erwerber bereits die Verfügungsmacht an dem Gegenstand der Lieferung verschafft wird.

Liegt der Fall eines Reihengeschäftes vor, bei dem die Lieferung im Konsignationslager endet, der Erwerber also mit Einlagerung im Konsignationslager die Verfügungsmacht über den Liefergegenstand erhält, so gelten die Vorschriften des § 6b UstG nicht, da diese Vereinbarung den Voraussetzungen der Konsignationslagerregelung i.S.d. Gesetzes widerspricht. Danach muss die Verfügungsmacht über den Liefergegenstand im Zeitpunkt der Einlagerung noch beim Lieferer verbleiben.

f. Weitere wichtige Voraussetzungen für die Anwendung der Konsignationslager-regelung:

  • Keine Weiterverarbeitung der gelieferten Ware vor Entnahme aus dem Lager!

die in den Bestimmungsmitgliedstaat verbrachte Ware muss mit der der späteren Lieferung identisch sein. Die Konsignationslagerregelung gilt deshalb z.B. nicht im Fall des Verbringens von Waren, die im Bestimmungsmitgliedstaat zur Ausführung einer Werklieferung / Werkleistung an den späteren Erwerber verwendet werden sollen, die Ware also vom Erwerber vor Entnahme weiterverarbeitet wird. Lager iSd § 6b UStG

  • Ort der Lieferung:

Der Ort, an den der Gegenstand im Zuge des Transports im Bestimmungsmitgliedstaat gelangt, wird in der Vorschrift nicht definiert und muss somit nicht zwingend ein Lager sein. Die Ware kann an jedem räumlich und physisch bestimmbaren Ort im Bestimmungsmitgliedstaat zwischengelagert werden (z.B. auch in einem Eisenbahnwaggon).

 

g. Ansässigkeit des liefernden Unternehmers

Nach § 6b Abs. 1 Nr. 2 UStG ist die Konsignationsregelung nur dann zur Anwendung, wenn der Unternehmer im Bestimmungsmitgliedstaat weder seinen Sitz noch seine Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte oder in Ermangelung eines Sitzes, einer Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bereits ein im Eigentum des Unternehmers befindliches Lager oder ein durch den Unternehmer angemietetes oder gepachtetes Lager, welches mit eigenen Mitteln (z.B. mit eigenem Personal), aus dem Bestimmungsmitgliedstaat betrieben wird, begründet eine solche Ansässigkeit.

Aber: Eine alleinige Registrierung für mehrwertsteuerliche Zwecke im Bestimmungsmitgliedstaat begründet jedoch noch keine Ansässigkeit

 

  1. Rechtsfolge des § 6b UStG
  • 6b Abs. 2 UStG regelt die Rechtsfolge, die sich aus der Konsignationslagerregelung ergibt, in Form einer Fiktion. Wenn die Voraussetzungen nach § 6b Abs. 1 UStG erfüllt sind, wird
  • zum Zeitpunkt der Lieferung des Gegenstands an den Erwerber, sofern diese Lieferung innerhalb der 12-Monats-Frist nach § 6b Abs. 3 UStG bewirkt wird, die Lieferung an den Erwerber einer im Abgangsmitgliedstaat steuerbaren und steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a UStG) gleichgestellt (§ 6b Abs. 2 Nr. 1 UStG).
  • Überdies wird die Lieferung an den Erwerber einem im Bestimmungsmitgliedstaat steuerbaren innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1a Abs. 1 UStG) gleichgestellt (§ 6b Abs. 2 Nr. 2 UStG; s.u. Abb. 1).

Die Gleichstellung mit einer im Abgangsmitgliedstaat bewirkten innergemeinschaftlichen Lieferung bedeutet insbes., dass diese Lieferung ohne weitere Nachweisvoraussetzungen steuerfrei ist.

 

a. Ausschluss und Rückausnahme vom Ausschluss von der Rechtsfolge der Konsignationslagerregelung

 

  • Überschreiten der 12-Monats-Frist

 

Für den Ausschluss und die Rückausnahme vom Ausschluss von der Rechtsfolge der Konsignationslagerregelung ist die 12-Monats-Frist von Bedeutung.

Wird die Lagerfrist nach § 6b Abs. 3 UStG überschritten, ist für die Waren am Tag nach Ablauf der 12-Monatsfrist ein einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestelltes Verbringen im Sinne des § 6a Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1a UStG anzunehmen. Hieraus ergibt sich für den Unternehmer die Pflicht zur unverzüglichen Registrierung in dem Mitgliedstaat, in dem sich das Lager im Sinne des § 6b UStG befindet.

Gegebenenfalls besteht, in Abhängigkeit von den Bestimmungen in dem Mitgliedstaat, in dem sich das Lager im Sinne des § 6b UStG befindet, die Möglichkeit, einen Fiskalvertreter zu beauftragen.

  • Wechsel des Erwerbers

 

Die vertragliche Vereinbarung für die Substitution muss bereits am Tag des Wirksamwerdens des Erlöschens der bisherigen Vereinbarung wirksam abgeschlossen sein. Durch den Wechsel eines Erwerbers wird die 12-Monats-Frist nach § 6b Abs. 3 UStG nicht verlängert.

 

b. Verlust durch Zerstörung, Verlust oder Diebstahl

Die Voraussetzungen nach § 6b Abs. 1 und 5 UStG gelten an dem Tag, an dem die Zerstörung, der Verlust oder der Diebstahl festgestellt wird, als nicht mehr erfüllt.

Gewöhnliche, branchenübliche, sich aus den Erfahrungen der letzten Lagerungsjahre ergebende Mengenverluste von Gegenständen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder infolge unvorhersehbarer Umstände nach dem Ende der Beförderung oder Versendung und vor dem Zeitpunkt der Lieferung entstanden sind, gelten als sog. »kleine Verluste«, für die § 6b Abs. 6 Satz 4 UStG keine Anwendung findet.

 

  1. Die Aufzeichnungspflichten

 

Der Umfang der Aufzeichnungspflichten für den Unternehmer ergibt sich aus § 22 Abs. 4f UStG. Der Umfang der Aufzeichnungspflichten für den Erwerber ergibt sich aus § 22 Abs. 4g UStG

Wenn der Inhaber des Lagers, in das der Gegenstand i.S.d. § 6b Abs. 1 Nr. 1 UStG befördert oder versendet wird, nicht mit dem Erwerber i.S.d. § 6b Abs. 1 Nr. 1 oder des § 6b Abs. 5 UStG identisch ist, ist der Unternehmer von den Aufzeichnungen N. 3, 6 und 7 entbunden.